„SchAz“ macht Handlingtechnik erlebbar
Ein Projekt, unterstützt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, bildete für das Forschungsinstitut ICM e.V. die Grundlage, ein Schulungs- und Anwendungszentrum (kurz SchAz) in Chemnitz zu eröffnen. Im „KUKoMo“-Projekt wurden neue Roboterlösungen für kollaborative Montagetätigkeiten in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) auf ihre Machbarkeit hin geprüft und für branchenübergreifende Anwendungsfälle in Demonstratorlösungen überführt. In einem eigens dafür geschaffenen Anwendungszentrum wurden Automatisierungskomponenten weiterentwickelt und so die Akzeptanz in den KMU gesteigert.
Das ICM e.V. ist eine private, gemeinnützige, anwendungsorientierte Forschungseinrichtung (Industrieforschungseinrichtung), deren vorrangige Zielstellung es ist, neue technische und technologische Möglichkeiten für KMU zu erschließen. Dabei wird auf langjährige Erfahrung und hohe Kompetenz zurückgegriffen. Das Wissen auf dem Gebiet der Automation und Robotik hat das Institut nun gebündelt in diesem Schulungs- und Anwendungszentrum verwirklicht, um es interessierten Unternehmen der gewerblichen und industriellen Wirtschaft zugänglich zu machen. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung innovativer Automatisierungslösungen für die Produktion. Ausgehend von der individuellen Identifikation von Produktivitätspotenzialen, werden systematisch technische und technologische Lösungsansätze entwickelt, bewertet und gegebenenfalls prototypisch umgesetzt. „Unser Schulungs- und Anwendungszentrum zeichnet sich dadurch aus, dass Menschen und Maschinen an einem Lernort zusammenkommen, sich verschiedenen Problemstellungen annehmen können und ein direktes Ausprobieren mit professionellem Feedback ermöglicht wird“, so Isabell Grundmann, wiss. Mitarbeiterin und Ansprechpartnerin für das SchAz vor Ort.
Der Trend geht in Richtung Kleinserien
In den Bereichen der Automation und Robotik bzw. Handhabungstechnik gibt es eine Vielzahl an Lösungen und Produkten. Besonders innovativ und zukunftsträchtig sind derzeit Entwicklungen im Hinblick auf die Automatisierung von Kleinserien – bis hin zu Losgröße 1. Mobile Robotiksysteme und eine Mensch-Roboter-Kollaboration könnten hier ein Teil der Entwicklungslösung werden. Leider sind solche Ansätze nicht so leicht realisierbar, da die Forschungs- und Entwicklungsaufwände dahingehend noch immens hoch sind. Im Chemnitzer SchAz jedoch stehen entsprechende Demonstratoren zur Anschauung und für weitergehende Untersuchungen zur Verfügung und ermöglichen es, modernste Technologien zu testen und die Einsatzmöglichkeiten für den eigenen Betrieb zu prüfen. Der Automatisierungs- und Handhabungsspezialist Zimmer Group, langjähriger Partner vom ICM e.V., steht dabei den Experten des Instituts sowie der ICM GmbH bei allen Themen rund ums Greifen helfend zur Seite.
Inhaltliche Schwerpunkte des SchAz
Das Schulungs- und Anwendungszentrum konzentriert sich im Hinblick auf die umfangreiche Thematik auf drei Schwerpunkte. Neben der Automation für Losgröße 1 stehen vor allem die mobile Robotik und die Mensch-Roboter-Kollaboration im Fokus der Chemnitzer. Auf die zwei letztgenannten Schwerpunkte wird hier nun etwas näher eingegangen.
Mobile Robotik
Klassische Industrieroboter sind an einer festen Position installiert – doch eine zunehmende Anlagenflexibilität bedingt mobile Roboterlösungen. Im SchAz werden exemplarisch zwei Varianten mobiler Robotik verglichen – ein klassischer Industrieroboter auf einem mobilen Gestell (mobiler Roboter) sowie die Kombination eines MRK-Roboters mit einem fahrerlosen Transportsystem (fahrbarer MRK-Roboter).
Mobiler Roboter
Der „mobile Roboter“ besteht aus einem klassischen 6-Achs-Roboter der Firma Kawasaki Robotics, der auf einem manuell verfahrbaren Gestell montiert ist. Ausgestattet ist er mit einer Werkzeugwechselstation und mehreren Greifern (GPP5008+GEP2010) der Zimmer Group zum Teilehandling sowie einem FT-Sensor zur Untersuchung kraftgesteuerter Prozesse für weitere Machbarkeitsstudien. Der mobile Roboter ist so konzipiert, dass die Baugruppe auch aus der Zelle genommen und als eigenständige Einheit in anderer Umgebung eingesetzt werden kann.
Fahrbarer MRK-Roboter
Der Demonstrator „fahrbarer MRK-Roboter“ setzt sich neben der Sensorik hauptsächlich aus einem kollaborierenden Roboter (CR-7iaL) der Firma Fanuc, einem spurgeführten autonomen fahrerlosen Transportsystem (Beldrive FTS) sowie einem MRK-Greifer (HRC-04-072810 ) der Zimmer Group zusammen. Der fahrbare MRK-Roboter realisiert im SchAz die Teilprozesse Transport und Handling von Lochplatten sowie das Befüllen eines Vibrationswendelförderers. Der MRK-Greifer übernimmt dabei die Aufnahme der leeren Lochplatten, den Transport zum Roboter, die Aufnahme von bestückten Lochplatten und den Transport zum Handarbeitsplatz. Ein Werker übernimmt abschließend in einer kollaborativen Zusammenarbeit mit dem Roboter die Endmontage der bestückten Lochplatten.
Mensch-Roboter-Kollaboration [MRK]
Unter dem Begriff Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) versteht man in der Robotik die Zusammenarbeit an einem Bauteil zwischen dem Menschen und dem Roboter an einem gemeinsamen Arbeitsplatz ohne trennende Schutzeinrichtungen. Mit Blick auf die sicherheitstechnischen Aspekte werden im Anwendungszentrum SchAz die verschiedenen Interaktionsstufen zwischen dem Menschen und dem Roboter anhand praxisnaher Prozesse – von der klassischen Roboterzelle bis hin zur reinen Kollaboration – untersucht
Als Demonstrator fungiert hier ein System, welches das ICM e.V. größtenteils selbst konstruiert und zusammengebaut hat. Auf das Untergestell wurde ein Stäubli-Roboter (TX2-90L) mit einer taktilen Sensorhaut der Firma Airskin eingesetzt, welcher eine maximale Tragkraft von 20 kg besitzt. Die Sensorhaut fungiert als eine Art Luftkissen, in dem permanent der innen anliegende Druck überwacht wird. Bei einer Druckänderung, die etwa bei einer Kollision auftritt, reagiert das System und hält sicher an. Sicherheit hat auch bei dem Greifer oberste Priorität. Der speziell für den MRK-Einsatz konstruierte elektrische Greifer HRC03-072844 der Zimmer Group weist zum Beispiel keine scharfen Kanten auf und ist so konstruiert, dass bei seiner allseitig abgerundeten Form ein versehentliches Hängenbleiben praktisch ausgeschlossen ist. Diese Eigenschaft in Verbindung mit einer mechanischen Selbsthemmung der Greifbacken – selbst bei Not-Aus oder Energieausfall verliert der Greifer das Werkstück nicht – bietet maximale Sicherheit in jeder Anwendung. Alle MRK-Greifer der Zimmer Group erfüllen dabei die hohen Anforderungen der Schutzprinzipien nach ISO/ TS 15066 (MRK-Norm) und sind BG/ DGUV-zertifiziert.
Das MRK-System vom ICM e.V. soll die kollaborative Montage eines Maßbandes (2 m), welches sich aus drei Teilen (Band, Betätiger, Schale) zusammensetzt, veranschaulichen. An einem mobilen Arbeitstisch werden zwei Bauteile durch einen Werker vormontiert. Nach der Übergabe der Baugruppe an den Roboter, wird diese durch den Roboter mit einem Kamerasystem (Fa. Balluff) optisch geprüft. Im Anschluss wird das dritte Bauteil durch den Werker in die Vorrichtung eingelegt. Den abschließenden kollaborativen Fügeprozess und Funktionstest übernimmt dann wieder der Roboter bzw. MRK-Greifer der Zimmer Group.
Erfolg des SchAz auch dank der vielen Unterstützer
Dass die Eröffnung des Chemnitzer Schulungs- und Anwendungszentrums ein durchschlagender Erfolg ist, zeigte sich nicht nur in der Vielzahl der Besucher zum Eröffnungstag, sondern spiegelt sich auch in den vielen interessierten Firmen und vor allem in den zahlreichen Unterstützern von Extern wider: „Neben modern ausgestatteten Schulungsräumen für die Erarbeitung kreativer Ideen, findet man in unserem Anwendungszentrum eine breite Palette an Automationstechnologien zum Erforschen und Experimentieren neuer Lösungen. Ohne die Unterstützung von Technologieführern wie u.a. der Zimmer Group aus Rheinau, wären diese innovativen Lösungen jedoch nicht so eindrucksvoll darstellbar.“, erklärte Marcel Ott bei der erstmaligen Vorführung im November 2019, welcher Softwareentwickler und technischer Ansprechpartner für das Anwendungszentrum.
Fotos: Quelle „MOT – ICM“