Theater zum Greifen nah

Wie Kawasaki-Roboter mit Zimmer Group Greifern im Theater für Furore sorgen

Die Anfangsszene des Theaterstücks erinnert an die berühmte Terminator-Reihe von Regisseur James Cameron aus dem Kino. Während die Schauspieler des Hamburger Thalia-Ensembles parallel eine Glanzleistung abliefern, erwachen zwei Roboter untermalt mit düsterer Musik auf der Theaterbühne zum Leben. Mit äußerster Präzision lassen sie dort Stück für Stück ein kleines Wäldchen entstehen. Dafür packen sich die Greifer das Material aus dem Off und platzieren mit stoischer Ruhe einen Kunstbaum nach dem anderen auf der Bühne.

Neuinszenierung mit Clou

Für die Neuauflage des berühmten Theaterstücks „Liliom“ von Ferenc Molnár haben sich die Macher um Regisseur Kornél Mundruczó und Bühnenbildnerin Monika Pormale etwas ganz Besonderes ausgedacht. Denn neben den überragenden Darstellern spielen zwei Industrieroboter der Firma Kawasaki des Modells BX200X mit zwei Greifern der Serie GPP5000 der Zimmer Group aus Rheinau eine im wahrsten Sinne des Wortes tragende Rolle. Die Handlung des Stücks wurde nicht nur wegen der Roboter neu interpretiert und ist schnell erzählt: Der Spitzbube und Frauenschwarm Liliom ist bekannt als Ausrufer auf einem Budapester Rummelplatz und Liebhaber der Karussellbesitzerin Muskat, bis er seiner großen Liebe Julie begegnet. Gemeinsam mit dem Dienstmädchen schmeißt er alles hin und brennt durch. Doch bald ist Julie schwanger und das Paar steht vor gewaltigen Problemen. Ohne Arbeit, Geld und Wohnung beginnt Liliom in seinem Frust Julie zu schlagen und fängt an zu trinken. Ein Raubüberfall, in den ihn der zwielichtige Freund Ficsur hineinzieht, geht katastrophal schief und Liliom begeht Selbstmord. Doch auch als er nach vielen Jahren Fegefeuer in die Welt zurückkehren darf, zeigt sich der Raufbold nicht geläutert. In Zeiten von #metoo, „Nein heißt Nein“ und häuslicher Gewalt stellt sich dem Zuschauer die Frage, wie man mit einem solchen brutalen Draufgänger wie Liliom umgeht. Regisseur Kornél Mundruczó rollt die Geschichte dafür im Gegensatz zum ungarischen Originalstück von hinten auf: Liliom ist bereits tot und muss sich vor dem Jüngsten Gericht wegen seiner Taten verantworten und Rede und Antwort stehen. Es ist eine Rückblende in eine andere, ferne Zeit. Während Ferenc Molnár ihm im Jahr 1909 noch durch ein himmlisches Gericht auf der Welt eine zweite Chance schenkt und ihm am Ende des Stücks Julie selbst die Absolution erteilt, ist es bei Mundruczó der „Safe Space“ und eine Gruppe queerer Menschen (Schwule, Lesben, Transgender u.a.) , denen er im Jenseits begegnet und vor denen er sich verantworten muss.

Die Roboter rücken ins Rampenlicht

Eine alte Theaterregel besagt, dass Tiere und Kinder nicht auf die Bühne gehören, da diese alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen und ihre Mitspieler dabei in den Schatten stellen. Seit der Liliom-Erstaufführung gehören jetzt auch die zwei Kawasaki-Roboter mit ihren imposanten Zimmer-Greifern dazu, denn diese ziehen das Publikum von Anfang mit ihrer imposanten Art an in ihren Bann. Neben kleinen aber wirkungsvollen Bühneneinsätzen wie dem Errichten eines Wäldchens aus Kunstbäumen oder dem Aufhängen einer Mondattrappe (Abb. 1), greifen die beiden stählernen Bühnenhelfer aber auch direkt ins Theater-Geschehen ein: Bei der Selbstmordszene besprühen die Roboter den Protagonisten ringsum mit einer Art Kunstblut, um so Lilioms gewaltsamen Tod besonders drastisch darzustellen (Abb. 2). Ihre Scheinwerfer und roten  Positionsleuchten wirken dabei wie Augen, die ihn dabei unheimlich anstarren. Und am Ende, als das Ensemble sich vor den Zuschauern verbeugt, senken auch die Roboter stolz ihre Greifer und lassen sich feiern. Das anwesende Publikum ist begeistert, es gibt Standing Ovations auch für die Roboter und auch die Presse feiert das Stück überschwänglich. „Ein großer Abend", befindet z.B. Karin Fischer im Deutschlandfunk (18.8.2019).

Eine Idee wird Wirklichkeit

Doch wie genau kam es zu dieser genialen Idee ausgerechnet moderne Industrieroboter in diese Neuinterpretation eines alten Theaterstücks miteinzubinden? In einem Gespräch mit dem Intendanten des Thalia-Theaters Joachim Lux plaudert der technische Direktor Hajo Krause aus dem Nähkästchen. Für das neue, revolutionäre Bühnenbild wandte sich Krauses´ Team an zwei Experten aus dem Bereich Automatisierung: So stellte die Firma Kawasaki Robotics aus Neuss zwei Schweißroboter – Modell BX200X den Hamburgern als Leihgabe zur Verfügung. Das 1500 Kilogramm schwere Modell BX200X wurde für das Punktschweißen – etwa im Autobau – oder für Handhabungsaufgaben entwickelt. Mit einer Tragkraft von 200 kg, einem schlanken Design, inneren Führung von Schlauchpaketen und einer Reichweite von 3.412 mm verbindet der Industrieroboter effektive Leistung mit höchster Flexibilität. Die zwei Greifer sponserte der Greiferspezialist Zimmer Group aus  Rheinau. Passend zum Kawasaki-Roboter lieferte die Zimmer Group je zwei neun Kilogramm schwere pneumatische Großhubgreifer des Premiummodells GPP5030N, die sich mit ihrer hohen Greifkraft von  5.000N besonders für die anfallenden Spezialaufgaben auf der Bühne eignen. Sie bieten gleichzeitig auch die notwendige Robustheit und die hohe Flexibilität bei der Kräfte- und Momentenaufnahme.

Große Herausforderungen zu Beginn

„Wir haben am Anfang nicht gewusst was wir tun, denn es war das erste Mal!“, gab Hajo Krause im Gespräch mit dem Intendanten Joachim Lux des Thalia-Theaters bei einem Empfang zur Hamburg-Premiere des Theaterstücks schmunzelnd zu. Es war ein nicht zu unterschätzendes Risiko, dass das Team eingegangen war. Vor allem in Bezug auf das Gefährdungspotenzial der Roboter und ihrer Greifer. Die zwei Kolosse können mit Leichtigkeit einen Menschen zerquetschen und aus Gründen der Ästhetik sind keine Gitter zum Schutz der Darsteller auf der Bühne dafür vorgesehen.

Erfolgreich entschärfen konnte man diese heikle Situation gleich durch mehrere wirkungsvolle Maßnahmen z.B. existiert eine überwachte Zutrittskontrolle mit vier Kameras, die alle Bereiche innerhalb und außerhalb der Spielfläche abdeckt, die Roboter bewegen sich geschwindigkeitsreduziert bzw. agieren nur bei Normalgeschwindigkeit, wenn sich niemand innerhalb des Wirkkreises bewegt und es gibt speziell definierte Bereiche, die der Roboter nie anfahren kann. Darüber hinaus überwacht ein extra dafür abgestellter Mitarbeiter sämtliche Bewegungen auf den Monitoren und greift bei Gefährdungen mittels NOT-AUS ein.

Auch fehlte es dem Team zu Beginn am notwendigen Know-How bei der Programmierung. Dies musste sich die Veranstaltungstechnikerin Emilie Piech aus dem Thalia Theater in einem 2-tägigen Grundlehrgang bei Kawasaki Robotics in ihrer EMEA-Zentrale in Neuss aneignen. Eine besondere Herausforderung bei der Umsetzung des Erlernten war dabei die ständige Neupositionierung der zwei Roboter und der verwendeten Greif-Gegenstände, da diese nach fast jeder Vorstellung auf der Bühne wieder komplett abgebaut werden müssen. Um diese Schwierigkeit zu bewältigen, richtete man auf einem Tanzboden kleine Kontrollpunkte für die Gegenstände und die Roboter ein, damit dieser wie eine Schablone für weitere Vorstellungen verwendet werden kann.

Und nicht zu vergessen schwebte über allem ein großer Zeitdruck wie ein Damokles-Schwert, denn eine erste Bauprobe für das Theaterstück war bereits wenige Wochen später geplant.

Hajo Krause und auch der Intendant des Thalia Theaters Lux zeigten sich beim Premieren-Empfang sehr dankbar gegenüber den beiden Sponsoren Kawasaki Robotics und Zimmer Group und bekräftigten, dass „das Ganze ohne die beiden Unternehmen nicht zu stemmen gewesen war“. „Wir sind im vollen Bewusstsein ein Risiko eingegangen, von dem wir nicht wussten, ob sich das am Ende auszahlt und ob es überhaupt funktioniert“ , so Intendant Lux. „Wir begreifen künstlerische Arbeit darin, indem wir sagen, wir gehen immer auch Risiken ein. Nur wenn wir diese Risiken eingehen, können wir scheitern oder auch etwas Neues gewinnen“, betonte Intendant Lux.

Und dass sich das Risiko auch gelohnt hat, besagten am Ende des Abends die Standing Ovations des Publikums und die massenhaften, sehr wohlwollenden Kritiken in den Medien im Nachgang.

Das Theaterstück ist eine Koproduktion mit den Salzburger Festspielen und läuft seit dem 21.9.2019 in Hamburg am Thalia-Theater. www.thalia-theater.de